Eines Tages kam ich nach längerer Abwesenheit zurück nach Wien, die Stadt, in der ich nun seit bald 30 Jahren lebe. Es war ein sonniger warmer Spätsommertag, und ich war glücklich, wieder hier zu sein. Ich spazierte durch den 1. Bezirk und bewunderte die hohen reich verzierten Gebäude, die ich immer vermisse, wenn ich lange fort bin. An einem Bücher-Wühltisch Am Graben fand ich ein Buch von Stefan Zweig, Die Welt von gestern.
Ich kaufte es für billige € 7,90 und begann es in einem der Cafés Am Graben gleich zu lesen. Das Buch hat mich in den folgenden Tagen in Bann gehalten und berührt, wie schon lange keines mehr; vielleicht deshalb, weil wir heute wieder an einer Zeitenwende leben und wir spüren, dass das Alte unter unseren Händen vergeht, so wie es Stefan Zweig auch für seine Zeit beschrieben hat.Stefan Zweig war ja ein glühender Europäer, und so lautet auch der Untertitel des Buches: Erinnerungen eines Europäers. Jedoch hat dieses Europäertum nichts zu tun mit dem Dasein in der heutigen EU.
Zweigs klarsichtige Wahrnehmungen ließen mich immer wieder an unsere heutige Zeit denken! Er schreibt "...ich hatte zu viel Geschichte gelernt und geschrieben, um nicht zu wissen, dass die große Masse immer sofort zu der Seite hinüberrollt, wo die Schwerkraft der momentanen Macht liegt. Ich wußte, dass dieselben Stimmen, die heute "Heil Schuschnigg" riefen, morgen "Heil Hitler" brausen würden. Aber alle in Wien, die ich sprach, zeigten ehrliche Sorglosigkeit..."
Zweig war von London nach Wien gekommen, um ein letztes Mal seine alte Mutter zu sehen. Und vielleicht, so schreibt er über seine Freunde, "waren sie im letzten Sinne weiser als ich, all diese Freunde in Wien, weil sie alles erst erlitten, als es wirklich geschah, indes ich das Unheil im Voraus schon fantasiehaft erlitt und im Geschehen dann noch ein zweites Mal. Immerhin - ich verstand sie nicht mehr und konnte mich ihnen nicht verständlich machen. Nach dem zweiten Tag warnte ich niemanden mehr. Wozu Menschen verstören, die sich nicht stören lassen wollten?"
Vielleicht geht es Dir da wie mir, und die letzten drei Jahre und mehr laufen vor dem inneren Auge erneut ab. Wir hier in Wien und anderswo trennten uns in mindestens zwei Lager: die Einen, die nichts Böses ahnten und die Anderen, die es riechen konnten, das Unheil.
Stefan Zweigs Geburtshoroskop (28.11.1881, in Wien) zeigt ein voll besetztes 8. Haus - dies ist der Bereich der für Transformation, Wandlung, Lebenskrisen, Tabus, das Abgründe, den Tod steht. Dazu sind 5 Planeten plus Chiron rückläufig. Dass dies kein einfaches Leben verheißt, ist offensichtlich.
Als er im Exil in Petropolis, nahe Rio de Janeiro, mit seiner Frau Lotte freiwillig in den Tod geht, - es war am 22.02.1942 - da standen seine Sterne so: Transit-Mars und Saturn bildeten eine Konjunktion und standen genau auf dem progressiven Deszendenten im 8. Haus. Es war der dritte und letzte Übergang Saturns über die wichtige Achse. Schon Mitte 1941 hatte der Saturn Zweigs Chiron überquert, die tiefste Wunde. Sie steht im Stier und zeigt eine Verletzung im Revier-Empfinden an. Auch hier ein erhellendes Zitat von Stefan Zweig:
"In
der Tat: nichts vielleicht macht den ungeheuren Rückfall sinnlicher,
in den die Welt seit dem ersten Weltkrieg geraten ist, als die
Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit des Menschen und
die Verminderung seiner Freiheitsrechte. Vor 1914 hatte die Erde
allen Menschen gehört. Jeder ging, wohin er wollte und blieb,
solange er wollte. Es gab keine Erlaubnisse, keine Verstattungen, und
ich ergötze mich immer wieder neu an dem Staunen junger Menschen,
sobald ich ihnen erzähle, dass ich vor 1914 nach Indien und Amerika
reiste, ohne einen Pass zu besitzen oder überhaupt je gesehen zu
haben. Man stieg ein und stieg aus, ohne zu fragen und gefragt zu werden, man hatte nicht ein einziges von den hundert Papieren
auszufüllen, die heute abgefordert werden. Es gab keine Permits,
keine Visen, keine Belästigungen; dieselben Grenzen, die heute von
Zollbeamten, Polizei, Gendarmerieposten dank des pathologischen
Misstrauens aller gegen alle in einen Drahtverhau verwandelt sind,
bedeuteten nichts als symbolische Linien, die man ebenso sorglos
überschritt wie den Meridian in Greenwich. Erst nach dem Kriege
begann die Weltverstörung durch den Nationalismus, und als erstes
sichtbares Phänomen zeitigte diese geistige Epidemie unseres
Jahrhunderts die Xenophobie: den Fremdenhass oder zu mindestens die
Fremdenangst. Überall verteidigte man sich gegen den Ausländer,
überall schaltete man ihn aus. All die Erniedrigungen, die man
früher ausschließlich für Verbrecher erfunden hatte, wurden jetzt
vor und während einer Reise jedem Reisenden auferlegt. Man musste
sich fotografieren lassen von rechts und links, im Profil und en
face, das Haar so kurz geschnitten, dass man das Ohr sehen konnte,
man musste Fingerabdrücke geben, erst nur den Daumen, dann alle zehn
Finger, musste überdies Zeugnisse, Gesundheitszeugnisse,
Impfzeugnisse, polizeiliche Führungszeugnisse, Empfehlungen
vorweisen, musste Einladungen präsentieren können und Adressen von
Verwandten, musste moralische und finanzielle Garantien beibringen,
Formulare ausfüllen und unterschreiben in dreifacher, vierfacher
Ausfertigung, und wenn nur eines aus diesem Schock Blätter fehlte,
war man verloren."
Stefan Zweigs auf die Landkarte projizierte Planetenlinien zeigen: Uranus läuft durch sein geliebtes Paris, das er nach absolviertem Studium besuchte. Und keiner kann den uranischen Geist der Freiheit besser beschreiben, als er selbst: "Für das erste Jahr der eroberten Freiheit hatte ich mir Paris als Geschenk versprochen. ... Man konnte gekleidet sein, wie es einem beliebte...Niemand genierte sich vor niemandem; die hübschesten Mädchen schämten sich nicht, mit einem pechschwarzen Neger oder einem schlitzäugigen Chinesen Arm in Arm und ins nächste petit hotel zu gehen - wer kümmerte sich in Paris um solche später erst aufgeblasene Popanze wie Rasse, Klasse und Herkunft?...Ach, man musste zuvor Berlin gekannt haben, um Paris recht zu lieben, musste die freiwillige Servilität Deutschlands mit seinem kantigen und schmerzhaft scharf zugeschliffenen Standesbewusstsein erlebt haben, wo die Offiziersfrau nicht mit der Lehrersfrau und diese nicht mit der Kaufmannsmadame und diese schon gar nicht mit der Arbeiterfrau "verkehrte". In Paris aber ging das Vermächtnis der Revolution noch lebendig im Blute um...Die Beziehungen zu Frauen knüpften sich leicht an und lösten sich leicht, jeder Topf fand seinen Deckel, jeder junge Mensch eine fröhliche und nicht durch Prüderie gehemmte Freundin. Ach, was lebte man schwerlos, lebte man gut in Paris und insbesondere, wenn man jung war!"
Auch für Freundschaften steht ja Uranus, und Stefan Zweig knüpfte in Paris tiefe Freundschaften: Rilke, Verhaeren, Valéry, Pascoli, sind ein paar Namen und Léon Bazalgette, "Freund meiner Freunde".
Die Mars-Linie läuft nach Berlin: Erinnern wir uns, dass Mars der Kriegsgott ist und dass von Berlin aus Krieg gegen jüdische Autoren geführt wurde, zu denen auch Stefan Zweig gehörte. Wolfgang Herrmann hieß der Berliner Bibliothekar und Nationalsozialist, der eine Schwarze "Liste verbrennungswürdiger Bücher" aufstellte. Ganz abgesehen davon, dass Berlin der Sitz der Reichskanzlei mit dem NS-Regime wurde.
Allgemein bekannt ist, dass Stefan Zweig und seine Frau Lotte sich im Jahre 1942 im brasilianischen Exil selbst töteten. Was zeigt seine Astolandkarte?
Der Ort war Petropolis, 50 km nordöstlich von Rio in den Bergen.
Die schwarze Pluto-Linie ist eine Standort-Linie mit einem Orbis von nur ca. 50 bis 60 km. Ihre Entfernung von Petropolis ist sicher mehr, daher deuten wir sie hier nicht.
Die Mondknotenlinie geht aber genau durch Petropolis. Mondknotenlinien bringen uns in Kontakt mit Menschen oder Umständen, mit denen uns ein karmisches Band verbindet. Manchmal ist es der künftige Ehepartner.
Stefan Zweig hat sich hier an Bad Ischl erinnert gefühlt. "Nackte Felsformationen, bewaldete Berge, die freilich nicht von Tannwald, sondern von dschungelartigen Gewächsen bedeckt sind, ließen ihn an den Semmering denken." schrieb das österreichische Magazin profil 2017 in einem Artikel "Stefan Zweig, der Heimatlose".
Und in gewisser Weise gab es tatsächlich so eine bedeutsame Verbindung, weil Petropolis einmal die Sommerresidenz von Dom Pedro II. war, dem brasilianischen Kaiser, der habsburgische Vorfahren hatte. (Dieser Dom Pedro ist eine interessante Gestalt, er soll 14 Sprachen gesprochen haben, mehr Gelehrter als Politiker gewesen sein und bescherte Brasilien eine Zeit der Blüte. "Privat interessierte er sich besonders für die Astronomie. So ließ er unter dem Dach seiner Sommerresidenz in der von aus deutschsprachigen Ländern stammenden Einwanderern erbauten Stadt Petrópolis eine kleine Sternwarte einrichten, in der er manche Nacht damit zubrachte, neue Himmelskörper zu entdecken", weiß wikipedia. Und wer weiß, vielleicht hat er sich auch für Astrologie interessiert?! - Aber das ist eigentlich eine andere Geschichte!
"Zweig meinte, eine Wahlverwandtschaft zwischen der brasilianischen und der altösterreichischen Mentalität zu entdecken. Höflichkeit, Charme, eine gewisse Schlampigkeit und Konzilianz sei beiden Völkern eingeboren, war er überzeugt und dachte wehmütig an die guten alten Zeiten der versunkenen Donaumonarchie." (profil)
Nun kommt aber noch eine wichtige Weltlinie dazu: Westlich von Petropolis verläuft seine Saturn/MC-Linie.
Saturn am MC ist ein Zeichen dafür, dass man sich durch Leistung ein hohes Ansehen erworben hat und ein ehrwürdiges Image hat. Man ist eine Art elder statesman. Zweigs Saturn regiert das 4. Haus, Heim, Wohnung Familie, und zeigt, dass der Ort seine neue Heimstatt wurde, wenn auch nicht für lange. Aber da Saturn im 8. Radixhaus steht und auch noch rückläufig ist, trägt er auch den dunklen Beigeschmack von Verwandlung und Tod in sich.
Stefan Zweig hatte zeitlebens melancholische Phasen gehabt, in denen er sich meist mit Arbeit betäubte. In Petropolis hatte er, wie sich später herausstellte, über Monate hinweg beim örtlichen Apotheker Schlaftabletten gekauft und gehortet.
profil: "Am Nachmittag des 23. Februar 1942 wurden Stefan und Lotte Zweig tot aufgefunden. Er lag vollständig bekleidet, in Hose, Hemd, Krawatte und Schuhen, auf seinem Bett, die Hände über die Brust gelegt. Sie hatte ihr Bett an seines herangeschoben, lag in einem Schlafmantel dicht an seine Seite geschmiegt. Mit ihrem rechten Arm hielt sie ihn umklammert."
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